Frei nach dem Gedicht گرگ درون (gorge daroon) von Fereydoun Moshiri
übersetzt von Dr. Wolfgang Backes
Der Wolf in uns
Ein Weiser hat mir einst entdeckt:
ein Wolf in jedem Menschen lebt.
Er haust hartnäckig und versteckt
in unserem Ich, mit uns verwebt.
Und Wolf und Mensch sich stets bekriegen:
bei Nacht und Tag, bei Tag und Nacht.
Ob Mensch, ob Wolf? Wer wird obsiegen?
Wer überlebt die ew’ge Schlacht?
Durch Muskelkraft gibt’s kein Entrinnen.
Nur wer sein Denken kontrolliert,
dem kann’s mit Müh und Not gelingen,
dass dieser Wolf den Kampf verliert.
Ein Schwächling dann, man glaubt es kaum
- er wirkt so elend und verwirrt –
hält seinen Wolf ganz fest im Zaum,
würgt dessen Kehle unbeirrt.
Dagegen steckt der Kraftprotz oft
gefangen in des Wolfes Klauen.
Trotz Tapferkeit vergeblich hofft
er seine Freiheit je zu schauen.
Wenn seine Seel’ an einem Tage
die Bestie auf den Boden zwingt,
dann ist der Mensch erst in der Lage,
dass seine Läuterung beginnt.
Doch wenn dem Wolf er unterliegt,
scheint er nur Mensch, doch ist er’s nicht.
Vom Wolfe Tag um Tag besiegt
wird er zum Wolf mit Menschgesicht.
Wer Toleranz dem Wolf gewährt
und lässt in heulen oder bellen,
verliert sein Menschsein und erfährt
des Wolfs Natur in allen Zellen.
Solang der Jugend Frohnatur
in deinem Herzen singt,
vernichte diese Kreatur,
bevor sie wächst und dich bezwingt.
Dem alten Wolf sich widersetzen,
gelingt nicht mal mit Löwenmut.
Der alte Mensch spürt voll Entsetzen,
sie ist zu stark, die Wolfesbrut.
Wenn Menschen grundlos sich bekriegen
dann leiten innere Wölfe sie.
Wenn Menschen streiten, ja dann siegen
die Wölfe, doch die Menschen nie.
Der Grund, weshalb die Menschen leiden,
warum ihr Dasein hart und schwer,
sind Wölfe, die die Richtung weisen.
Sie vorneweg, wir hinterher.
Wenn zwei Tyrannen sich verstehen,
dann kennen Ihre Wölfe sich,
sie schließen Freundschaft, denn sie sehen
den Wolf in uns, nicht dich und mich.
Die Wölfe Freund, die Menschen fremd.
Wir lassen sie gewähren.
Sie sind vereint, doch wir getrennt.
Wer kann uns das erklären?